Zentral • Central 1999 – 2009

Andere sagen SCHWEIZ und meinen etwas anderes. (Max Frisch)

In seiner seit 1999 anwachsenden fotografischen Werkserie widmet sich Frank Dömer dem sperrigen europäischen Nachbarland. Architektur und Landschaft, Distanz und Nähe, Analyse und Synthese bilden die polaren Bezugsgrößen seiner künstlerischen Bildarbeit.
Mit zwei Werkblöcken (24 C-Prints im Format 30 x 40 cm; 9 C-Prints im Format 40 x 50 cm) entwirft der in Köln lebende Künstler und ehemalige Meisterschüler von Per Kirkeby abseits vorherrschender Klischees eine präzise wie nüchterne Bestandsaufnahme schweizerischer Identität. Von Almhütten und Lager- und Kuhställen bis zu Skiliften und bäuerlichen Wohnbauten reicht das Arsenal der Bauten, die Frank Dömer in der historischen Urschweiz rund um Beckenried und den Vierwaldstätter See mit dem fotografischen Großformat erfasst hat.

Bedingt durch ihren ungeschönt funktionalen Charakter und ihre vereinzelte Platzierung bilden die beton- und holzverkleideten Architekturen in ihrer Gesamtheit eine bemerkenswerte Typologie des Individuellen, die sich auch in den Ortsnamen widerspiegelt (z.B. »Treib«, »Seeli«, »Schattenhalb«). Dömers 24-teilige Bestandsanalyse ist von formaler und inhaltlicher Stringenz geprägt. Konsequent vermeidet er in seinem Werkblock jeglichen Anflug des Pittoresken, indem er die charakteristische Eigenheit des Einzelbaus zumeist mit einer streng sachlichen Aufnahmeweise en face dokumentiert. Der zweite, 9-teilige Werkblock gewährt einen distanzierten Blick auf das durch Tourismus geprägte Alpenland, das seit jeher als Vorbild landschaftlicher Schönheit gilt. Dömers teils panoramisch anmutende Fernsichten sind nicht auf Überwältigung des Betrachters angelegt, sondern reflektieren vielmehr die Bedingungen ihrer Bildgattung. Vorbilder der romantischen Landschaftsmalerei werden zitiert (C.D. Friedrich), zugleich heute visuell ablesbare zivilisatorische Landschaftseingriffe im Bild nicht ausgeklammert. Gerade durch ihren exzellenten Farbaufbau, der Dömers malerische Ausbildung attestiert, gewinnen die Landschaftsbilder eine eigene ästhetische Spannung abseits klischeehafter Kategorien. Anhand seiner polaren künstlerischen Strategien vermag Frank Dömer ein von Ambivalenz geprägtes Bild der Schweiz zu skizzieren, das real wie zeitgemäß erscheint.

Others say SWITZERLAND and mean something other. (Max Frisch)

Frank Dömer’s photographic series, which has been growing since 1999, deals with a European neighbour country that is not an easy fit. Architecture and landscape, distance and closeness, analysis and synthesis are the poles Dömer takes as reference points of his art works. With two groups of images the Cologne-based artist and former student in the master class of Per Kirkeby sketches a precise and sober inventory of Swiss identity that does without prevailing clichés. From alpine huts and cow-sheds to ski lifts and farm houses the range of buildings spans which Frank Dömer has documented on large-format photography in the original part of Switzerland around Beckenried and the Vierwaldstätter lake. Due to their unvarnished functionality and their being scattered points in the landscape the architectures of concrete and wooden facades represent a remarkable typology of individual character, which is even mirrored in the place names (e.g. »Treib«, »Seeli«, »Schattenhalb«). Dömer’s analysis in 24 parts is marked stringency in form and content. He consequently evades any hue of the picturesque by documenting the characteristics of the single building en face and most often in a strictly objective style. The second group of images in nine parts allows a distanced view on the alpine country shaped by tourism, whose landscape has always been taken a model of beauty. Dömer’s partly panoramic long views are not meant to overwhelm the viewer, but rather reflect the conditions of their genre. Representatives of Romantic landscape painting are cited (C.D. Friedrich), while at the same time visual signs of human intervention are not hidden in the image today. Especially because of the outstanding colour composition, which attests to Dömer’s education as a painter, the landscape pictures achieve an aesthetic tension far from stereotyped categories. With his strategy to incorporate extreme opposites in his art, Frank Dömer succeeds in outlining an ambivalent picture of Switzerland, which appears to be in keeping with the times and reality.
© Dr. Christoph Schaden, Köln • Cologne 2004

„Bei den Almmotiven von Frank Dömer fügt sich die traditionelle Architektur nur scheinbar funktional und ästhetisch in die Landschaft ein. Einen nostalgischen Postkarten-Romantizismus zu bedienen, ist jedenfalls nicht Dömers Absicht. Neben dem Stationsgebäude eines Skilifts mitten auf einer Wiese lagert nicht Brennholz, sondern ein Stapel Wasserrohre wie auf einer Baustelle. Am rechten Bildrand sieht man noch das waagerecht angebrachte Rad für den Treibriemen des Skilifts – so ist dieses Foto gleichzeitig eine Metapher auf die Bequemlichkeit des modernen Menschen, der keineswegs mehr mit naturburschenhafter Kernigkeit per pedes die Berge erklimmt. Im Sommer liegt diese Station verlassen da. Das große hölzerne Tor ist geschlossen, an der Fassade hat der Zahn der Zeit genagt, Gras wuchert über der Betonstufe – für dieses Gebäude gibt es nur ein zutreffendes Prädikat: es ist hässlich.“
Jürgen Raap, Kunstforum International, Bd. 170, S. 301, Mai – Juni 2004